»Die wichtigen Fragen der Gegenwart werden nicht dadurch gelöst werden, dass man sie in die richtigen Schubladen ablegt.«

Choreografin Doris Uhlich über ihre Faszination für Körper, Grenzüberschreitungen und wie man den perfekten Schleim herstellt.
– 26. Juni 2022

Die österreichische Choreografin Doris Uhlich (*1977) entwickelt seit 2006 eigene Produktionen. Viele ihrer Performances sind Untersuchungen von Schönheitsidealen und Normen des Körperbildes, sie beschäftigt sich auch mit der ideologiefreien und provokanten Darstellung von Nacktheit. Musik, insbesondere Techno-Musik, spielt dabei eine wichtige Rolle. Für die Performance ›Ravemachine‹ gewannen Doris Uhlich und der Tänzer Michael Turinsky 2016 den renommierten Nestroy-Sonderpreis für ›Inklusion auf Augenhöhe‹. Uhlichs Produktion ›Every Body Electric‹ war 2019 zur Tanzbiennale Venedig eingeladen, in der Zeitschrift tanz war sie 2018 und 2019 als ›Choreografin des Jahres‹ genannt. Uhlich gilt aktuell als eine der wegweisendsten Choreografinnen Europas. Beim asphalt Festival 2022 ist ihre jüngste Arbeit ›Gootopia‹ zu sehen.

 

Wenn man sich Deine Arbeiten anschaut, wirkst du wie eine ›Systemsprengerin‹, die Disziplinen und Genres überschreitet. Im Grunde vertrittst du keine klassischen Kategorien oder Sparten mehr. Wie würdest du das definieren, was du auf der Bühne machst?

Ich interessiere mich für Themen und finde ihre Umsetzung. Mich kümmert es dann nicht, wie das Genre heißt. Die wichtigen Fragen der Gegenwart werden nicht dadurch gelöst werden, dass man sie in die richtigen Schubladen ablegt.

Aus deinen Produktionen spricht eine große Faszination für den Körper. Bei dir sieht man auf der Bühne auch das Nicht-Normative, das beispielsweise in den Mainstream-Medien oder der Welt der Werbung noch nicht selbstverständlich vorkommt. Welche Körper interessieren dich?

Alle.

Du arbeitest viel mit Menschen zusammen, die keine professionelle Tänzerinnen oder Tänzer sind. Wie läuft der Entstehungsprozess eines neuen Stücks bei dir ab?

Ähnlich wie mit professionell ausgebildeten Tänzer und Tänzerinnen. Wenn man professionell arbeitet, ist die Unterscheidung Laie und Profi obsolet.

Deine Arbeiten bilden oft größere Bögen und du bringst Reihen heraus, die inhaltlich und ästhetisch miteinander zusammenhängen. Woraus schöpfst du deine Themen und deine künstlerischen Impulse?

Eine gute Frage kennt kein Ende und führt oft zu Folgefragen. Daher entstehen oft Serien und Remixe.

In deiner Choreografie ›Habitat‹ waren 120 nackte Körper zu sehen, auch bei ›Gootopia‹ sind die Performer:innen nackt. Welches Konzept verfolgst du damit?

Bei ›Habitat‹ geht es stark um das Arbeiten mit dem nackten Körper jenseits von Ideologien und Bildern, die gesellschaftlich verbreitet sind als Stereotypen. In ›Gootopia‹ wird der Schleim zur zweiten Haut und das macht nackt ganz einfach mehr Sinn. Außerdem müssten wir ständig Wäsche waschen.

In ›Gootopia‹ interagieren sechs Performer:innen mit Schleim. Warum diese Substanz?

Schleim hat in der Pandemie einen schlechten Ruf erfahren. Auch in unserer von Technologie beherrschten Welt hat Schleim keinen Platz – Sterilität ist wichtig. Menschen sind eigentlich schleimige Wesen – wir kommen nackt und schleimverschmiert auf die Welt. Ich wollte Schleim als Mitperformer in ›Gootopia‹ verstehen und unser Verhältnis zu ihm recherchieren. Schleim ist für viele Lebewesen lebensnotwendig. Ich finde vor allem seine verbindende Funktion spannend und dass er Körpergrenzen verflüssigt und aufweicht.

In dem Stück kommen unterschiedliche Arten und Formen von Schleim zum Einsatz. Wie muss man sich den Prozess in der Stückentwicklung vorstellen, bis ihr die passenden ›Aggregatzustände‹ gefunden hattet? Habt ihr viel experimentiert, gab es auch gescheiterte Versuche?

Juliette Collas und Philomena Theuretzbacher, die den Schleim herstellen, haben sehr viel recherchiert und auch bei ihnen zuhause in ihren privaten Küchen ausprobiert. Im Proberaum haben wir viel experimentiert, viel geduscht, viel gelacht, viel gezittert wegen des kalten Schleims auf der Haut. Wir haben versucht Schleime herzustellen, die unterschiedlich triefen, am Körper haften und auch nicht, verbindende Schlieren herstellen, essbar sind. Da gab es auch Umwege im Findungsprozess, wobei jeder Umweg uns zum Teil weitergeholfen hat oder uns überrascht hat. Wichtig war uns Schleim herzustellen, der biologisch abbaubar und hautverträglich ist.

Wie erlebst du als europäische Choreografin, die nicht nur im deutschsprachigen Raum agiert, die aktuelle Entwicklung, dass seit Corona Teile des Publikums dem Theater fern bleiben? Wie blickst du persönlich auf das aktuelle Theater und seine Zukunft, welche Funktion schreibst du ihm in der Gesellschaft zu?

Theater wird es immer geben. Ich denke es ist eine Wellenbewegung – mal gibt es Zeiten, in denen weniger Menschen ins Theater gehen, dann wieder mehr. Man muss Geduld haben – sie kommen wieder bzw. andere werden kommen, solange es gute Arbeiten gibt. Was die Pandemie mir sehr klar gemacht hat: Live-Erlebnisse sind nicht einfach durch digitale Formate zu ersetzen.

Was steht bei dir als Nächstes an?

Nach vielen Tourings im Frühjahr und zu Beginn des Sommers freue ich mich auf eine Sommerpause ab Mitte / Ende Juli. Das kommende Projekt mit dem Titel ›SONNE‹ hat im April 2023 Premiere. Die Idee ist seit vielen Jahren in meinem Kopf – die Sonne performt auf der Bühne und wirft aus einer nicht-menschlichen Perspektive einen Blick auf die Erde und unsere ökologische Krise.

 

 

 

 

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