»Wir sind alle ein Stück weit Hamster Edward«

Anke Retzlaff, Peter Florian Berndt und Paul Jumin Hoffmann über ihre Produktion ›Wofür es sich zu kämpfen lohnt‹, die bei asphalt 2022 Premiere feiert.
– 1. Juli 2022

Ein Rad, ein paar Körner und Wasser. Ist das alles, worum die Gedanken eines Hamsters kreisen, wenn er in seinem Käfig umherläuft? Oder träumt er in Wahrheit von seinem Ausbruch, vom Leben jenseits der Gitterstäbe und unbekannten Abenteuern? Was würden wir in seinem Tagebuch lesen? In einem musikalischen Theaterstück verleihen die Schauspielerin Anke Retzlaff und der Multiinstrumentalist Peter Florian Berndt einem kleinen Hamster Stimme und Körper.

Begleitend zur Inszenierung stellt die Produktion an verschiedenen Stellen der Stadt eine mobile Telefonzelle auf, an der Passant:innen persönliche Geschichten, Gedanken und Gefühle zum Thema Freiheit hinterlassen können. Ein Gespräch mit Anke Retzlaff, Peter Florian Berndt und Paul Jumin Hoffmann über ihre Produktion ›Wofür es sich zu kämpfen lohnt‹, die bei asphalt 2022 Premiere feiert.

Als Textgrundlage arbeitet ihr mit der Graphic Novel der Geschwister Miriam und Ezra Elia ›Das Tagebuch von Edward dem Hamster 1990-1990‹. Wie kam es dazu?

Anke Retzlaff: Wir sind auf den Text per Zufall aufmerksam geworden, schon vor einigen Jahren. Er stand im Regal eines Freundes und hat uns sofort begeistert. Seitdem haben wir immer wieder davon geträumt daraus etwas Eigenes zu machen und im Laufe der Zeit so einige Lieder für den kleinen Hamster geschrieben.

Ihr habt im vergangenen Jahr mit der Produktion ›Dream Machine‹ für das Festival ›Theater der Welt‹ bereits mit Audio-Aufnahmen von Träumen gearbeitet. Warum diese Vorgehensweise?

Peter Florian Berndt: Es ist ein Versuch, den Theaterabend durch echte Stimmen zu beleben, sowohl durch ihren Inhalt als auch durch ihre sehr verschiedenen klanglichen Texturen. Außerdem sind die Stimmen, die Gedanken und Beteiligungen der Menschen, die sich auf diese Weise mit unserem Stück verbinden, eine wertvolle Quelle der Inspiration für die Erarbeitung. Es gibt kein wärmeres und interessantes Instrument als die Stimme.

Anke Retzlaff: Das stimmt. Ich liebe es, mit Stimmen von Menschen zu arbeiten. Es interessiert mich, was die Menschen um mich herum zu den Themen der Stücke zu sagen haben, was ihre Gedanken und Gefühle sind, die möchte ich gerne in unsere Projekte einbinden. Bei ›Dream Machine‹ haben wir Träume gesammelt und sie eingebunden, dabei ging es darum, Menschen in einem assoziativen Raum über ihre Ängste und Sehnsüchte miteinander zu verbinden, ohne dass sie sich körperlich begegnen.

Unter welcher Fragestellung oder unter welchem Motto stehen die Audio-Aufnahmen für das ›Tagebuch eines Hamsters‹?

Anke Retzlaff: Angesichts globaler Spannungen und Krisen interessiert es uns besonders, was die Menschen in unserer Stadt im Augenblick persönlich beschäftigt. Wie sie ihre Welt wahrnehmen und mit aktuellen Ängsten, Wünschen und Gedanken umgehen. Das können sowohl kleine als auch große Gedanken und Gefühle sein. Zum Beispiel wie man sie in einem Tagebuch hinterlassen könnte. In unserer Vorstellung sind wir alle ein Stück weit Hamster Edward, in unseren ganz persönlichen Hamsterrädern und vielleicht auch Käfigen. Über diese verschiedenen Hamsterräder und Käfige würden wir gerne mehr erfahren.

Ihr wollt auch instrumental arbeiten. Würdet ihr diese Produktion eher als Konzert, als Lesung oder als Theaterstück beschreiben?

Paul Jumin Hoffmann: Alle drei Begriffe treffen zu. Was nur noch fehlt, ist die Teilhabe der Besucher:innen durch die Sammelstation in der Stadt.

Die Premiere des Tagebuchs eines Hamsters wird auf der Seebühne des asphalt Festivals sein. Dort werden die Zuschauer:innen die Musik und Stimmen sehr nah und unmittelbar per Kopfhörer hören. Was erwartet ihr von dieser besonderen Aufführung?

Peter Florian Berndt: Ich stelle mir vor, dass es das Publikum in den Bann zieht, weil es sehr unmittelbar sein wird. Die Lieder, die Gespräche, die Stimmen werden wie eigene Gedanken sein. Im Grunde ist diese Direktheit eine sehr manipulative Vorgehensweise, aber das Publikum ist nicht zu unterschätzen: Heutige Rezeptionsgewohnheiten ermöglichen es uns, auf diese Weise einen intensiven und anregenden Abend zu gestalten, ohne das Publikum mit Technik zu erschlagen.

Ist die Produktion vor allem für Kinder und Jugendliche?

Anke Retzlaff: Die Produktion entwickeln wir sowohl für junge als auch ältere Menschen. Ich glaube, dass einige der Gedanken und Gefühle, die Edward in seinem Hamsterrad erlebt, uns in unserem Leben zu verschiedenen Zeiten in ganz unterschiedlichen Gestalten immer wieder begegnen und uns bewegen. Genauso wie der Versuch uns auszudrücken, sei es für uns selbst in einer Art Tagebuch, durch Kunst, Musik oder im direkten Kontakt und Austausch mit anderen. Vielleicht gelingt es unserem kleinen Hamster ja, die Gedanken und Gefühle von Menschen aus der Stadt aus verschiedenen Generationen miteinander zu verbinden und sie zu Verbündeten untereinander zu machen.

Paul Jumin Hoffmann: Ich denke sowohl Erwachsene als auch Kinder und Jugendliche werden sich mit Edward dem Hamster gut identifizieren können. Ich habe mich damals in der Schule oft unfrei und einsam gefühlt, später im Berufsleben viel zu spät bemerkt, wie lange ich schon im gemütlichen Hamsterrad auf der Stelle trete. Gefühle von Isolation und Einsamkeit sind in Zeiten der Pandemie niemandem unbekannt, wobei die junge Generation besonders davon betroffen ist. Edwards Strategie daraus auszubrechen ist, Verbündete für seinen Kampf zu finden.

Anke Retzlaff ist Schauspielerin, Musikerin und Regisseurin. Für ihre Rolle im Kinofilm ›Puppe‹ wurde sie 2013 für den New Faces Award als beste Nachwuchsschauspielerin nominiert und 2021 als Beste Nachwuchskünstlerin in ›Theater heute‹ genannt. Beim Festival ›Theater der Welt‹ in Düsseldorf wurde 2021 ihre Performance ›Dream Machine‹ uraufgeführt, an der auch Berndt und Hoffmann mitwirkten.

Peter Florian Berndt ist Musiker, Liedtexter und Performer. Als Komponist und Bühnenmusiker war er bereits an verschiedenen Theatern in Deutschland tätig. Er ist aktives Mitglied des professionellen Improtheaterensembles ›Ernst von Leben‹ und E-Gitarrist bei ›Los Pistoleros Güeros‹.

Paul Jumin Hoffmann ist Schauspieler und war vier Jahre lang festes Ensemblemitglied des Jungen Schauspiels Düsseldorf. Aktuell ist er in verschiedenen Rollen in der Produktion »Endstation fern von hier« des Theaterkollektivs Pièrre.Vers zu sehen, die bei asphalt 2022 uraufgeführt wurde. Hoffmann führte bereits bei verschiedenen Theaterproduktionen gemeinsam mit Anke Retzlaff Regie.

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