Uraufführung

Dramaturgie für eine Konferenz #2

Laakkuluk, Nyamza, Ómarsdóttir, Taneja, Umpierrez, Plataforma Fluorescente
Virtuelle Art Performance

Vernissage:
Mo 27 Juni 18:00 Uhr

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In englischer Sprache mit deutschen Untertiteln
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Tablets und Kopfhörer zum Erleben der virtuellen Art Performance können während der Öffnungszeiten des K21 an der Theke auf der Piazza gegen Hinterlegung eines Pfands ausgeliehen werden.
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Öffnungszeiten des Museums: Di – Fr 10:00 – 18:00 Uhr, Sa – So 11:00 – 18:00 Uhr. Am Mi 29.06. hat das K21 aufgrund einer Veranstaltung geschlossen.

Wie
findet
man
Wahrheit
ohne
Beweise
?

Die Projektserie ›Dramaturgie für eine Konferenz‹ des argentinischen Künstlers Matías Umpierrez schafft Raum für Denker:innen und Künstler:innen, gemeinsam Fragen der Zeit performativ zu untersuchen. Im Auftrag von Umpierrez haben Einat und Eyal Weizman ein Manual mit dem Titel ›Negative Evidenz‹ verfasst, das vier Performerinnen zur Verfügung gestellt wurde, damit sie auf dessen Basis eine Performance entwickeln. Die vier Solo-Performances sollten ursprünglich beim asphalt Festival 2021 präsentiert werden, doch die Reisebeschränkungen während der Pandemie verhinderte dies. Anstatt das Projekt abzusagen, erarbeiteten die Künstler:innen ein neues Konzept für die Dramaturgie einer Konferenz in der erweiterten Realität, die nun bei asphalt 2022 uraufgeführt wird.

Die Performerinnen stellen jeweils eine konkrete Begebenheit ins Zentrum einer künstlerischen Arbeit, die kolonialistische Strukturen in ihren Herkunftsländen entlarvt. Die Inuk-Performerin Laakkuluk Williamson Bathory aus Kanada, die Xhosa-Choreografin Mamela Nyamza aus Südafrika, die indische Performerin Mallika Taneja und die isländische Choreografin Erna Ómarsdóttir folgen dem im Manual vorgegebenen Pfad des ›forensischen Theaters‹

Das Manual ist eine Anleitung, um Dokumentartheater neu zu definieren. Ausgangspunkte liefern aktuelle Dokumente des 21. Jahrhunderts wie Tweets, Blogs, Fotos, Artikel oder Videos. Es wird analysiert, was eine wahre Aussage heute ausmacht und ob Kunst der Wahrheit zu einem neuen, kraftvollen Ausdruck verhelfen kann. Wie findet man die Wahrheit, wenn es keine Beweise gibt? Die Übertragung der Solo-Performances in die erweiterte Realität macht die Beantwortung dieser Frage umso spannender. Der dabei angestoßene Diskurs zur Wahrnehmung von kolonialen Machtstrukturen erhält durch die körperliche Abwesenheit der Performerinnen inhaltlich wie ästhetisch eine besondere Dringlichkeit.

Während der Öffnungszeiten des K21 können kostenlos Tablets und Kopfhörer ausgeliehen werden, um die Solo-Performances als Augmented-Reality-Installation zu erleben. Die Zuschauer:innen können sich dabei sowohl auf dem Außengelände des K21 als auch auf der Piazza bewegen und so eine Verbindung zwischen virtuellem und analogem Raum eingehen.

Laakkuluk Williamson Bathory ist eine kalaaleq (grönländische Inuk) Performance-Künstlerin, Dichterin, Schauspielerin, Geschichtenerzählerin und Schriftstellerin, die in Iqaluit, Nunavut, lebt. Sie ist bekannt für die Aufführung von ›uaajeerneq‹, einem grönländischen Maskentanz, der Geschichten erzählt und drei Elemente in den Mittelpunkt stellt: Angst, Humor und Sexualität. Laakkuluk beschreibt ›uaajeerneq‹ sowohl als politischen und kulturellen Akt als auch als eine eigenwillige Kunstform. Ihr Solo für ›Dramaturgie für eine Konferenz #2‹ realisierte sie zusammen mit ihrem langjährigen Mitarbeiter Jamie Griffiths. Die Filmemacherin, Fotografin, bildende Künstlerin und Performer befasst sich mit Fragen der Identität, des Wohlbefindens, der Transparenz und des Kolonialismus, mit Ausstellungen und Performances in Kanada, Großbritannien, den USA und der EU. Griffiths arbeitet mit Kameras, Ton, Projektionen und Licht und nutzt maßgeschneiderte Software für interaktive Installationen und Performances.

Die Choreografin und Kunstaktivistin Mamela Nyamza aus Südafrika ist ausgebildete Balletttänzerin. In ihrer Arbeit setzt sie sich mit dem klassischen Genre des Tanzes auseinander, indem sie die traditionellen Methoden und die Logik des Balletts und des zeitgenössischen Tanzes dekonstruiert und die Ereignisse ihrer Kindheit in den 1980er Jahren und kulturelle Traditionen sowie aktuelle soziale Missstände wie HIV/Aids, häusliche und sexuelle Gewalt und Drogenmissbrauch erforscht. Auch ihre Biografie als schwarzafrikanische, lesbische Mutter fließt in ihre Arbeit ein.

Mallika Taneja lebt und arbeitet in Neu-Delhi, Indien. In ihren Performances, Installationen und kuratorischen Arbeiten beschäftigt sie sich mit Fragen von Geschlecht, Solidarität und Erinnerung. Ihr besonderes Interesse gilt den politischen Möglichkeiten von performativen Ensembles und der Rolle, die Lieder beim Hinterlassen und Sammeln von Spuren von Menschen, Orten und Dingen spielen. Einige ihrer Werke und kollaborativen Räume sind ›Be Careful‹, ›Allegedly‹, ›Rest of the Struggle‹ und ›Women Walk at Midnight‹. Für ›Be Careful‹ wurde sie 2015 mit dem ZKB Anerkennungspreis und für ›Allegedly‹ 2021 mit dem ZKB Förderungspreis ausgezeichnet.

Erna Ómarsdóttir aus Island ist eine Tänzerin, Choreografin und Rocksängerin, deren mit explosiver Energie geschaffene Werke sich als eine Mischung aus Erzählung, Absurdität und Horror, konzertanten Elementen und poetischen Bildern lesen. Sowohl als unabhängige Künstlerin als auch als künstlerische Leiterin der Iceland Dance Company hat Ómarsdóttir eine Reihe hochgelobter Werke geschaffen und inszeniert, die weltweit gezeigt wurden und große internationale Anerkennung gefunden haben.

Einat Weizman ist Dramatikerin und Regisseurin und befasst sich vor allem mit dokumentarischem Theater. Eyal Weizman ist Architekt, Schriftsteller, Professor für Spatial and Visual Cultures und Direktor des Centre for Research Architecture am Goldsmiths College in London. Seine Forschungsagentur ›Forensic Architecture‹ untersucht Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Matías Umpierrez gilt als einer der innovativsten Theaterregisseure Lateinamerikas, seine Projekte u. a. mit seiner Compagnie Plataforma Fluorescente bewegen sich zumeist an der Grenze zwischen Theater und bildender Kunst. Seine Arbeiten werden weltweit in Theatern und Museen gezeigt, zudem entwickelte er ›site-specific performances‹ u. a. in Fabriken in Sâo Paulo oder auf Berggipfeln in den Pyrenäen.

Die Agentur A4VR mit Sitz in Düsseldorf ist europaweit führend für Konzepte und Anwendungen in der virtuellen und erweiterten Realität. Gemeinsam mit A4VR konnte die erste Dramaturgie für eine virtuelle Konferenz konzipiert werden.

Eine Produktion des asphalt Festivals in Kollaboration mit dem Festival Theater der Welt 2021, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes

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von und mit Laakkuluk Williamson Bathory, Mamela Nyamza, Erna Ómarsdóttir, Mallika Taneja

nach einem Konzept von Matías Umpierrez / Plataforma Fluorescente
Manual: Eyal & Einat Weizman


Die Arbeiten

Laakkuluk Williamson Bathory:
The Contamination is Hidden Inside the Ground

Für ihren Beitrag zur ›Dramaturgie einer virtuellen Konferenz‹ hat Laakkuluk Williamson Bathory mit ihrem langjährigen Mitarbeiter Jamie Griffiths zusammengearbeitet. Ihre Arbeit trägt den Titel ›The Contamination is Hidden Inside the Ground‹ (dt. »Die Verschmutzung ist im Boden versteckt‹). Sie thematisiert die Verschmutzung des Trinkwassers, mit der die Menschen in Iqaluit, Nunavut, Kanada konfrontiert sind. Viele indigene Gemeinden in ganz Kanada leiden unter verunreinigtem Wasser. Iqaluit ist die größte Gemeinde in Nunavut und lebt mit einer bröckelnden Infrastruktur, was historische, rassistische und koloniale Auswirkungen hat. Laakkuluk und Jamie entwarfen eine 3D-Kuppel als Leinwand, auf die projiziert wird. Gezeigt wird eine Szene an der Küste im Dezember, wenn sich das Meereis in Iqaluit gerade zu bilden beginnt. Eine Flagge ist in den Boden gesteckt, die symbolisch für die Farben steht, die Laakkuluk beim grönländischen Maskentanz ›uaajeerneq‹ verwendet. Die Arbeit ist eine antikoloniale Persiflage, denn koloniale Macht wurde oft durch das Einpflanzen von Flaggen in den Boden manifestiert. Bei dem Material, das auf die 3D-Leinwand projiziert wird, handelt es sich um 2D-Videos, die Jamie erstellt hat und die das Land im Gespräch mit dem Meer und Laakkuluk in Interaktion mit diesem Gespräch zeigen. 

Text und Performance: Laakkuluk Williamson Bathory
Videokunst: Jamie Griffiths

laakkuluk.com

Mamela Nyamza:
GROUNDED

In GROUNDED (dt. ›geerdet‹) hinterfragt Mamela Nyamza die vielschichtigen Bedeutungen des Begriffs, der sowohl negative als auch positive Konnotationen in unserem gesellschaftlichen Leben hat: Stabilität, Zuverlässigkeit, moralischer Kompass und Selbstwertgefühl einerseits und Bestrafung, Einsperrung oder Trennung und Absonderung andererseits. Die Arbeit stellt die Situation Südafrikas dar, in der die Demokratie scheinbar gut funktioniert, aber unter der Oberfläche kleine, nicht leicht zu erkennende Risse aufweist, die große Gefahren bergen und manchmal tödlichen Folgen haben. Nyamza verwendet Drähte, um die Dichotomie dieser ›bequemen‹ und doch ›listigen‹ Situation ihres Landes zu symbolisieren: baumelnde, verwickelte elektrische Drähte, die scheinbar nicht gefährlich sind, aber wenn man mit der Hand oder dem Fuß daran stößt, bekommt man einen bösen Stromschlag, der zumindest gefährlich, wenn nicht gar tödlich sein kann. GROUNDED zeigt die jahrelangen Abnutzungserscheinungen der Menschen, die immer auf der Suche nach einem moralischen Kompass sind, um die Sicherheit und das Wachstum ihres Lebensunterhalts zu organisieren, zu verwalten und zu verbessern.

Choreografie, Regie & Performance: Mamela Nyamza
Digital & Video: Katty van Denberghe
Videofilmer: Ayanda Msiza
mitarbeitende Künstlerin: Amkele Mandla

Erna Ómarsdóttir: menagerie of collaborative storytelling

Die Gesellschaft hat sich durch unzählige Generationen hindurch organisiert, indem sie einen aktiven, bestimmenden Teil und einen passiven, sich anpassenden Teil definiert hat – ein Schlüssel-Schloss-Prinzip: Mann und Frau. Nach diesem Prinzip ist der zweite der beiden Teile derjenige, der von den männlichen Händen in der Welt unterworfen und geformt wird: Der weibliche Körper als eine Form, die sich der männlichen Form anpasst. In ihrer Arbeit erforscht Erna das jahrhundertealte Verständnis der weiblichen Rolle. Wie hat sich der ständige Missbrauch von Frauen oder weiblichen Personen in ihre Körper eingeschrieben? Die Performance ›menagerie of collaborative storytelling‹ (dt. ›Eine Sammlung gemeinsamer Geschichtenerzählungen‹) ist ein Versuch, eine ausdrucksstarke Art und Weise zu finden, um die Ergebnisse dieser Forschung zu präsentieren.

Gesten und Bewegungen, die sich in einer Endlosschleife immer weiter fortsetzen, erzählen die Geschichte einer unendlichen Anpassung. In der Arbeit geht es also auch darum, eine körperliche Sprache für das Unerzählte zu finden. Die Performerin vervielfältigt sich selbst in viele ihrer Figuren, von denen jede ihren eigenen Ausdruck für eine neue Erzählung aus der Perspektive des ›zweiten Teils‹ findet.

Konzept, Choreografie, Text, Gesang, Video und künstlerische Leitung: Erna Ómarsdóttir und Valdimar Jóhannson

Mallika Taneja:
It will come back to me

Es ist schon viele Jahre her, dass sie verloren ging. Viele Jahre danach sprachen zu viele Menschen nicht mehr von ihr … weder mit anderen noch untereinander. Der Grund dafür ist nicht ganz klar … das Einzige, was man sagen kann, ist, dass vielleicht … Es war einfach zu schwierig. Sie ist in dem ständig wachsenden Archiv des World Wide Web nicht mehr zu finden. Sie existiert nur noch in der Erinnerung derer, die zurückgeblieben sind. Auch sie haben jetzt vergessen. Das, woran sie sich jetzt erinnern, zum ersten Mal nach 28 Jahren, ist das, was hier gesammelt wurde. Fragmente von dem, woran sie sich erinnerten, wurden hier für Sie zusammengestellt. Sie sind unterschiedlich lang und wurden an verschiedenen Stellen im Park platziert. Sie tragen viele Menschen in sich … denjenigen, von dem gesprochen wird, denjenigen, der spricht, denjenigen, der zuhört … Und dann sind da noch die Myriaden, die beim Durchqueren der Fragmente wachgerufen werden.

Wir laden Sie ein, sich auf einen sanften Spaziergang mit diesen Stimmen und Bildern einzulassen, Teile von ihnen mit sich zu tragen und die Lücken mit Ihren eigenen festen und zerbrechlichen Erinnerungen zu füllen.

mit Sudha Thapliyal, Sunanda Achar, Nandini Guha Rajagopal, Hansa Thapliyal, Geetika Thapliyal, Suhasini Taneja 
Traditionelles Wiegenlied aus Kannada vorgetragen von: Sudha Thapliyal
Gestaltung: Yashas Chandra
Konzept und Regie: Mallika Taneja

Besonderen Dank an Mohammad Hasan Siddiqui von Hertz Studio für seinen wichtigen Beitrag zum Audioschnitt. Dankbar bin ich Abhishek Mathur, Akshat Nauriyal, Chayan Adhikari und Neo Muyanga für das Ausleihen von Equipment und die unermüdlichen technischen Gespräche mit mir und Ruchi Chaudhury für ihre Hilfe beim Verständnis von Copyright und Links. Sumangala Damodaran und Bindhumalini für die Bereitstellung ihrer Lieder. Akshay Thapliyal für seine Unterstützung. Den Stimmen in dem Stück bin ich sehr dankbar für ihre Zeit, ihre Mühe und ihr Vertrauen.

Hinweis: Der Ton wurde über mehrere wackelige Internetverbindungen und mit verschiedenen Geräten aufgenommen. Wir bitten Sie, sich auf die damit verbundenen kleinen Störungen einzustellen.

Wir ermutigen das Publikum, die Bilder in einem ruhigen Tempo zu durchlaufen.

Für Saras.

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