Warum wir Kunstorte brauchen

Warum wir Kunstorte brauchen

Warum braucht eine Stadt öffentliche Orte des Kunsterlebens?

2012 gründeten wir das asphalt Festival. Aus dem Nichts und ohne Mittel. Es wurde nicht an uns herangetragen, dies zu tun. Der Entschluss folgte auch keiner geprüften innovativen Geschäftsidee, sondern entstand aus einem künstlerischen Impuls heraus. Wir waren davon überzeugt, dass wir mehr Raum für den zwischenmenschlichen Dialog benötigen, der seinen Ursprung im gemeinsamen Erleben von künstlerischen Darbietungen erfährt.

Sie mögen einen betören oder verstören oder beides zugleich, aber sie können aus unserer Sicht Türöffner für einen gesellschaftlichen Diskurs sein, völkerverbindend und Kitt für die Gesellschaft.
Insofern ging und geht es uns grundsätzlich darum, Denk-, Kommunikations- und Begegnungszonen zu kreieren. Diese Räume gilt es zu finden, zu besetzen, zu erweitern – denn sie sind nicht selbstverständlich da. Das asphalt Festival ist eine stetig reagierende, sich weiterentwickelnde „Work-in-progress-Plattform“ auf der Suche nach interessanten ästhetischen Ausdrucksformen von unterschiedlichsten Künstlergruppen zu drängenden Fragen unserer Zeit.
Und es ist ein flüchtiger Ort des Verweilens im Charakter einer großen bilderreichen Reise.
Nach einigen überaus erfolgreichen Festivalausgaben, mit großem und stetig wachsendem Publikumsinteresse, hatten wir für 2020 ein umfangreiches Programm mit nationalen und internationalen Künstlergruppen an mehreren spannenden Orten in der Stadt geplant.
Dieses Festival mussten wir aufgrund der Pandemie absagen. Aber wir entwickelten eine Alternative. Das kurzfristig und entgegen aller Widerstände geborene Festival „asphalt auf See“ war keine Notlösung für das eigentlich Gedachte, sondern das richtige Format bzw. die entsprechende Reaktion auf den Ausnahmezustand. Wir stellten uns die Frage: Ist es nicht unsere Pflicht, als Kunstschaffende auf die jeweiligen Umstände zu reagieren und sie zu beleuchten? Können wir warten, bis die Krise vorbei ist – im Angesicht des Sturms? Ist es nicht gerade jetzt unsere Aufgabe, Räume des Verhandelns und der Versammlung anzubieten?
Und wir haben uns gefragt: Was war die eigentliche Ursprungsidee von asphalt? Sie war und ist: „Raus aus dem Theater, rein in die Stadt.“ Raus aus den Mustern und Denkmodellen, die auch in den Kulturbetrieben teilweise zu immer gleichen Abläufen führen, rein in die Möglichkeiten, die die Zeit mit sich bringt. Wir müssen beweglich sein, die Starre auflösen. Egal ob kleine Bühne, große Bühne, draußen, drinnen: Das Theater – die Kunst muss stattfinden – sonst entsteht eine Lücke, die vielleicht zuerst gar nicht auffällt, aber irgendwann nicht mehr zu schließen ist.
So sind wir losgerannt und haben diesen magischen Ort am Schwanenspiegel gefunden. Vielleicht hat er auch uns gefunden. Es war ein Wagnis. Vor allem aufgrund der unklaren pandemischen Verhältnisse.
Im größtmöglichen Raum – dem Öffentlichen – haben wir uns einige Gedanken zum Thema Nähe und Distanz gemacht.
In der Rückschau war es ein Glücksfall und die richtige Entscheidung:

An elf Tagen zeigten wir auf der eigens dafür gebauten Seebühne 42 Aufführungen und erreichten 3700 Besucher*innen. Nahezu alle Veranstaltungen waren ausverkauft, die Auslastung lag bei 96 Prozent. Das Festivalprogramm umfasste 23 Produktionen, darunter vier Uraufführungen.

Unabhängig vom bilanzierbaren Erfolg, waren die Reaktionen seitens des Publikums dieses Mal besonders: Sie zeugten oft von tiefer Dankbarkeit für unseren Versuch, die analoge Kommunikation zu ermöglichen. Die Einsamkeit für eine kurze Zeit zu bannen. Noch heute – Wochen später – erhalten wir Briefe, die beschreiben, dass es nicht wenige Menschen gibt, für die Kunst zum Lebensnotwendigen gehört. So direkt wie dieses Jahr wurde uns die Wichtigkeit und Sinnhaftigkeit unserer Festivalaktivitäten noch nie zuvor gespiegelt. Und die Erkenntnis, dass es vielen Menschen im Moment um ernsthafte Auseinandersetzung mit aktuellen Themen geht und nicht nur – wie oft dargestellt – um Entertainment, machte uns besonders glücklich. Wir sind den Künstler*innen und unserem Publikum, die Teil dieses Experiments waren und an unsere Idee glaubten, überaus dankbar.

Insofern könnte das Festival „asphalt auf See“ auch als eine Insel der Inspiration umschrieben werden, die andere in Bewegung setzt, Energie bündelt und Mut für das Kommende macht.
Für das Jahr 2021 planen wir in jedem Fall weiter mit der Bühne am Schwanenspiegel und hoffen außerdem, das eigentlich kuratierte Programm von 2020 umsetzen zu können.

Klar ist: Wir gehen der Zukunft entgegen – dass wir die Kunst hierfür brauchen, ist gewiss.

Christof Seeger-Zurmühlen und Bojan Vuletic

Düsseldorf, 18.8.2020

Skip to content